aber …
… zuerst einige überzeitlich bedenkenswerte Statements:
1837 Johann Adam Pupikofer
«Ja, es tut sich oft nur zu viel Eifer für neue Strassen kund, so dass man schon veranlasst war, zu besorgen, das Strassenfieber möchte in eine Epidemie ausarten.»
(in: Geschichte des Thurgaus, 1828/1830)
1968 Schulhefteintrag
«Die N7 führt nicht nur von Frauenfeld nach Kreuzlingen, sondern ist auch rasche Verbindung zwischen dem schweizerischen Mittelland und Süddeutschland (Stuttgart).» (…)
Die T13, welche Verkehr um die Ortschaften Arbon, Romanshorn, Kreuzlingen, Steckborn und Diessenhofen leiten wird, wird eine Panoramastrasse sein.»
(vom Lehrer diktiert, Horn, 5. Klasse: Schulheft von Walo Abegglen)
1981 Ulrich Schmidli (SP), Regierungsrat und Baudirektor
«Vom Verkehrsaufkommen rechtfertigt sich eine N7 nicht.»
(Thurgauer AZ, 1.6.81)
1983 SVP Thurgau, Flugblatt (siehe Schluss dieser Dokumentation)
«Im Simmental und im Knonaueramt, in der Romandie und in der Ostschweiz, in Stadt und Land wehren sich Bürgerinnen und Bürger gegen Autobahnprojekte. Projekte, die aus den zukunftsgläubigen 60er Jahren stammen, müssen heute nicht mehr der Weisheit letzter Schluss sein. … Darum verlangt die SVP Schweiz eine seriöse Überprüfung, eine wirksame Redimensionierung und wo nötig einen Verzicht auf Autobahnen … Wir finden grün schöner als grau, Wiesen schöner als Autobahnen.
Sind Sie auch dieser Meinung? Dann wählen Sie am 23. Oktober die SVP!»
«Auch wir im Thurgau sind für mehr Wiesen und weniger Autobahnen.»
Darum am 22./23. Oktober JA in die Urne.
(Flugblatt der SVP (auch Plakat?) anlässlich Nationalratswahlen 1983 im Thurgau
Genauer Absender und Zielpublikum trotz Nachfrage im Staatsarchiv ungeklärt, Flugblatt bei WA)
1986 Jakob Stark (SVP), Ex-Präsident Jungliberale TG; Regierungsrat; 06 – 20; seit 2019 Ständerat
Stark «betonte, die Tatsache, dass die N7 vom Verkehrsaufkommen her nicht gerechtfertigt sei, aber trotzdem gebaut werden solle, habe ihn schon vor drei Jahren wütend gemacht.»
(zitiert nach Thurgauer Volksfreund 14.8.1986; Nr. 186)
2007 Hans Peter Ruprecht, Regierungsrat (SVP) und Baudirektor
Wo sind Sie 2007 ans Limit gegangen? – «Ich gehe gerne im Baurecht an die Grenze, frei nach dem Motto Wo kein Richter, da kein Henker.» (TZ, 24.12.07)
2010 Kanton Thurgau, Tiefbauamt
«BTS und OLS sind Jahrhundertprojekte (…) Allerdings wird sie (OLS) nur dann gebaut, wenn der Verkehr stark zunähme, und zwar erst bei einem Aufkommen von über 10’000 Fahrzeugen pro Tag im Raum Langrickenbach; dort verkehren heute zwischen 4’000 und 5’000 Fahrzeuge.»
(Werkstattbericht 1. Dez. 2010: Broschüre mobilitätthurgau)
2012 Armin Eugster (CVP), Präsident Raumplanungskommission des Kantonrates
Wer für die Bodensee-Thurtal-Strasse (BTS) und gegen die Oberlandstrasse (OLS) ist, kann Ja sagen zum Netzbeschluss BTS/OLS. Er muss nur die Vorlage für höhere Verkehrsabgaben ablehnen. Womit die Finanzierung der OLS nicht garantiert sei.
(zitiert nach TZ, 10.9.12)
Vorbemerkungen zu nachstehender Chronologie
Die Entwicklung auf deutscher Seite, vor allem im Raum Konstanz, findet hier kaum Eingang. In der Auseinandersetzung um N7 und B33 auf deutscher Seite war diese ein wichtiger Faktor, auch im Sinne sich gegenseitig hochschaukelnder Sachzwänge.
Die hier ausgewählten historischen Wegmarken orientieren sich an Fakten und Zahlen; teilweise sind sie sicher angereichert durch strassenkritische Ergänzungen.
Viele Personen haben grosse Verdienste bezüglich Schutz des Seerückens vor überborbordendem Strassenbau. Einige, die besonders viel, besonders lange «mitgestritten» haben (und nachfolgend nur teilweise auftauchen), sind am Schluss erwähnt …
Juli 1958
Das Schweizervolk sagt deutlich Ja zu einem Verfassungsartikel (heutiger Art. 83), welcher dem Bund die Kompetenz zur Planung und zum Bau eines Nationalstrassennetzes erteilt. Womit der rechtliche Grundstein für ein gigantisches nationales Projekt gelegt ist, welches schrittweise zu einem der dichtesten Autobahnnetze der Welt aufgebläht wird – trotz des dichtesten Bahnnetzes der Welt …
Juni 1960
Es folgt der Bundesbeschluss betreffend Festlegung des Nationalstrassennetzes, welcher auch die N7, also die heutige A7, einschliesst.
Sommer 1976
Bundesrat Hans Hürlimann durchschneidet bei Kefikon das Band zur A7; 1978 folgt die Eröffnung des Teilstücks bis Pfyn.
1977
Das Parlament beauftragt den Bundesrat, eine parlamentarische Kommission zur Überprüfung von sechs Nationalstrassenteilstücken (eines davon die N7) einzusetzen: die sog. Kommission Biel, benannt nach ihrem Präsidenten Walter Biel (LdU). Eine Mehrheit des Parlamentes ist der Meinung, die gesellschaftlichen und ökologischen Rahmenbedingungen hätten sich stark verändert …
Februar 1978
Die 1974 von Franz Weber (aktiver und einflussreicher Umweltschützer) lancierte CH-Volksinitiative «Demokratie im Nationalstrassenbau» wird im Verhältnis 3:2 verworfen. Die Einsetzung besagter Kommission Biel kann als indirekter Gegenvorschlag zu dieser Initiative gesehen werden.
(Damals: Die Jungliberale Bewegung (JFDP) war klar für dieses Anliegen … )
1979
Die LdU-TG-Volksinitiative «Demokratie im kantonalen Strassenbau» wird von den Stimmberechtigten verworfen (43,6% Ja) – sie kommt ohne Gegenvorschlag zur Abstimmung, begleitet von Versprechen, dem Anliegen im neuen Strassenbaugesetz teilweise entgegenzukommen.
Dezember 1981
In Kreuzlingen bildet sich (als Verein) das Komitee zum Schutz des Seerückens – gegen die N7, kürzer: Komitee pro Seerücken: im Visier sind überrissene Strassenplanungen auf dem Seerücken, insbesondere auch die vierspurige Weiterführung der N7 bis an die Landesgrenze. Präsident ist Ueli Eppenberger, Aktuar Walo Abegglen, beide aus Kreuzlingen.
Oktober 1983
Die N7-Standesinitiative wird von den Thurgauer/innen abgelehnt (56:44; Stimmbeteiligung 53%).
Der Bezirk Arbon nimmt an; hier werden N7 und TN13 am stärksten als «siamesische Zwillinge» interpretiert. Diese spezielle Form einer Volksinitiative, eine Antwort auf den Vorentscheid der Kommission Biel, die N7 ohne Abstriche zu bauen, ist ein Produkt des Komitees pro Seerücken.
Eine Annahme hätte «die eidg. Räte aufgefordert, das Teilstück der N7 Müllheim-Kreuzlingen-Landesgrenze aus dem Nationalstrassennetz zu nehmen» …
Mai 1985
Das neu gegründete Komitee zum Schutz des Kulturlandes und der natürlichen Landschaften lanciert die sog. «Kulturlandinitiative». Dem Präsidium gehören an: Theresa Herzog, Tobel, dazu die Kreuzlinger Guido Leutenegger, Jost Rüegg und Walo Abegglen. Die Thurgauer Initiative will zum einen gewichtige kantonale Strassenbauten dem Referendum unterstellen, zum andern ist sie nochmals der Versuch, die N7 in dieser Form zu verhindern …
August 1986
Die Kulturlandinitiative wird abgelehnt (59:41). Die vorberatende Kommission des Grossen Rates versucht zuerst (erfolglos), die Initiative als ungültig zu erklären …
Februar 1997
Die (TG-)Umweltverbände erreichen/unterzeichnen unter starkem Druck eine Vereinbarung betreffend Ausführungsprojekt A7 (Schwaderloh bis Grenze), womit im gleichen Jahr mit dem Bau dieses Teilstücks begonnen wird. Immerhin wird so u.a. der Girsbergtunnel billiger und der Zollhof kleiner – nicht verhindert der stark kritisierte Südanschluss. 2002 ist die A7 fix und fertig gebaut …
November 2000
Das Komitee zum Schutz des Seerückens – Nein zur T13 wird in Güttingen gegründet bzw. wieder zum Leben erweckt (-> 1981): der Vorstand mit Rosmarie Blaser, Hannes Stricker, Jürg-Peter Huber und Walo Abegglen besetzt.
Juni 2001 / Oktober 2002
* Kreuzlingen sagt knapp Ja zum Kreditanteil der Stadt für die «Südumfahrung, 1. Etappe» (53:47; 240 ungültige Stimmen …; Stimmbeteiligung 49%). Dies zum Leidwesen des rührigen Komitees Pro Kreuzlinger Naherholungsgebiet und unter Vorbehalt einer WWF-Beschwerde. Die Rede ist vom ersten Kilometer Schnellstrasse Bergstrasse-Bätershausen: «Salamitaktik», damals eine seenahe T13 präjudizierend.
* Das Bundesgericht kassiert faktisch die obige Abstimmung, heisst die WWF-Beschwerde gut, worauf der Kanton das Projekt zurückziehen muss.
2001
Das Präsidium des Komitees zum Schutz des Seerückens – Nein zur T13 wird nach der Abstimmung vom Juni 2001 in die Hände von Jana Brönimann und Tobias Richter gelegt.
September 2005
Die Thurgauer/innen lehnen zwei Abstimmungsvorlagen ab: die Thurtalstrasse T14 von Bonau bis und mit Spange Romanshorn (52,8%), ebenso die sog. Südumfahrung von Kreuzlingen-Bernrain bis und mit Münsterlingen (56,5%). Alle Bezirke lehnen die Südumfahrung Kreuzlingen ab; die Stadt Kreuzlingen stimmt zwar mit 56,3% zu, hauchdünn auch Bottighofen; Gemeinden, deren Gebiet «verstrasst» werden soll, lehnen (haushoch) ab. Federführend bei der Versenkung der Südumfahrung: das Komitee Pro Kreuzlinger Naherholungsgebiet und das Komitee zum Schutz des Seerückens.
Als Mahnmal und Erinnerung wird in Bottighofen bei Chli Rigi eine Linde gepflanzt, darunter ein Gedenkstein mit Inschrift.
November 2007
An der GV vom 17. Nov.ovember wird Ueli Ryter aus Bottighofen neuer Präsident des Seerücken-Komitees.
Nach 13 Jahren tritt er im Sept. 2020 anlässlich der GV beim Lindenhof in Langrickenbach zurück.
September 2012
Man kreiere (an Stelle der Südumfahrung Kreuzlingen) eine neue Strasse von Kreuzlingen nach Amriswil, nenne sie schönfärberisch Oberlandstrasse (OLS); man frische die T14 kosmetisch auf und nenne sie Bodensee-Thurtalstrasse (BTS). Vor allem: Man setze «siamesische Zwillinge», einen sog. Netzbeschluss, in die Welt – womit über beides gemeinsam abgestimmt werden kann/muss.
Der Schachzug verfängt, (finanzielle) Versprechungen reichern das Abstimmungsmenu an. Gut 54% befürworten den Netzbeschluss mit BTS und OLS. Das Ausmass der «(halb)staatlich orchestrierten Propaganda» ist grenzwertig: Gemeindeammänner, als Gelbwesten auf der Strasse; die TKB, sich mit parteilichen Studien und Foren einmischend etc.
Verworfen wird gleichzeitig die Erhöhung der kantonalen Verkehrsabgaben (3:2), welche im «direkten Zusammenhang» (Abstimmungsbotschaft) mit der Finanzierung der OLS stehen soll …
(-> siehe auch Statement von A. Eugster, 2012)
2017
* Angenommen wird im Februar (61,9%) ein Bundesbeschluss für einen unbefristeten Fonds (NAF) zwecks Finanzierung von bestehenden – und neuen – Nationalstrassen, ebenso von Projekten der landesweiten Agglomerationsprogramme: Die BTS wird jedenfalls Bundessache …
* Der Thurgau sagt JA zum Gegenvorschlag zur TG-Kulturlandinitiative (80%), damit zu einem neuen Verfassungsartikel, der u.a. fordert: «Gemeinden und Kanton sorgen für die Erhaltung des Nicht-siedlungsgsgebietes.» (Das Initiativ-Wort Schutz wird im vorherigen Satz vom Grossen Rat eliminiert.)
* Gründung «Ackerblumen»: Vereinigung von TG-Personen/Organisationen, welche gemeinsam die Seerückenlandschaft schützen und somit eine OLS verhindern wollen.
2018
Eine Beschwerde gegen die kant. Finanzierungsstrategie der BTS-Projektkosten bleibt leider erfolglos.
2019 bis 2022
Ständerat Stark und Nationalrätin Gutjahr (beide SVP) machen 2020 in Bern Druck. Eine Doppel-Interpellation sollte dafür sorgen, die BTS vorzuziehen. Nicht zuletzt wegen unserer beharrlichen Informationsarbeit kann dies verhindert werden. Fest steht nun, dass sich die BTS – frühestens – 2027 im nächsten Ausbauschritt des Bundes findet. Für die parallel vorangetriebene OLS heisst das: Die für 2021 geplante Vernehmlassung zum Vorprojekt soll erst durchgeführt werden, wenn sich der «Realisierungshorizont» der BTS klärt.
2022
«10-Jahre-Jubiläum»: 10 Jahre sind verstrichen seit Annahme des sog. Netzbeschlusses BTS/OLS.
Und immerhin: Gebaut ist noch nichts – und wird hoffentlich auch nichts …
Ueli Ryter, Bottighofen; Peter Wildberger, Frauenfeld; Hannes Stricker, Kesswil; Walter Lang, Landschlacht (heute Kreuzlingen), Toni Kappeler, Münchwilen; Klemenz Somm, Walo Abegglen, Jost Rüegg, Guido Leutenegger (alle aus Kreuzlingen) – und viele mehr